Copyright 2005 Verlag Hans-Jürgen Maurer
Vorwort zur Neuausgabe 2005
Wir leben in einer Zeit der Globalisierung und internationalen Zusammenarbeit einerseits und enger, sich verhärtender Strukturen des religiösen Fanatismus andererseits – keiner scheint bereit zu sein, die Traditionen des anderen anzuerkennen und zu tolerieren. Neben allen politischen und wirtschaftlichen Interessen ist die Unkenntnis der Geschichte und Kultur, der Sitten und Bräuche, der Denk- und Lebensweise des jeweilig anderen mit einer der Gründe für Mißverständnisse und Intoleranz.
Über Jahrhunderte war der Nahe Osten für den Westen fast völlig unzugänglich. Wer ihn als Abenteurer, Kaufmann oder Missionar dennoch zu betreten wagte, mußte um seine Gesundheit und sein Leben fürchten.
Erst Anfang des 19. Jahrhunderts hatte man im Westen die »Nestorianer« neu entdeckt. Welch unglaubliche Schwierigkeiten und Gefahren ein Reisender zu überwinden hatte, beschreibt der Verfasser des hier vorliegenden Buches, Dr. Asahel Grant, ein Missionsarzt, eindrücklich und nüchtern zugleich. 1835 hatte er im Auftrag der amerikanischen Foreign Mission zusammen mit seiner Frau und einem weiteren Missionarsehepaar unter den syrisch sprechenden Christen, den sogenannten »Nestorianern«, in Urmiah (Iran) eine Missionsstation1* gegründet. Von dort aus versuchte Dr. Grant zu den »Bergnestorianern« vorzudringen, deren Großteil im Hakkari-Gebiet in etwa 4000 Meter Höhe (heute: Grenzbereich der Türkei, des Iran und des Irak) weitgehendst friedlich mit Kurden zusammenlebte. Da sie von der Außenwelt völlig abgeschnitten waren, hatte kein Fremder je ihr Gebiet betreten, und Dr. Grant war der erste, den sie 1841 willkommen hießen.
Von dieser Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit der nestorianischen Bergdörfer berichtet fast ein Jahrhundert später auch George M. Lamsa, Doktor der Theologie, der 1892 im Norden des Iraks in ein christlich-assyrisches Nomadenvolk geboren wurde und 1917 in die USA gekommen war. Den hier vorliegenden Bericht von Dr. Grant schien man vergessen zu haben, denn als Dr. Lamsa davon sprach, daß sich in diesen Dörfern die Sitten und Bräuche der Zeit Jesu, ja sogar die Muttersprache Jesu, das galiläische Aramäisch, erhalten hätten, hielten ihn die Theologen seiner Zeit »für einen Scharlatan, einen Lügner, aber keinesfalls für einen Syrer«. Wie Dr. Grant berichtet auch Dr. Lamsa von in Estrangela-Schrift gehaltenen syrischen Handschriften biblischer, namentlich neutestamentlicher Schriften, von deren Existenz man im Westen bis dahin so gut wie nichts wußte.
Dr. Grant schildert aus der Perspektive des Missionars Fakten, die Dr. Lamsa selbst erlebte. Auch er wurde z.B. als Erstgeborener von seiner Mutter Gott geweiht, was ihm sein Leben lang bewußt blieb und nicht zuletzt verborgener innerer Antrieb war für seine dreißig Jahre andauernde Übersetzung der Bibel aus dem Aramäischen. Heute ist es allgemein anerkannt, daß Aramäisch die Muttersprache Jesu war. Das, was der Autor mit »Syrisch« bezeichnet, ist tatsächlich »Aramäisch«.
Möge dieses Buch dazu beitragen, die Menschen des zur Zeit zerrissenen, von Krieg, Aufruhr und Aufständen gebeutelten und unter Fanatismus leidenden Nahen Ostens besser zu verstehen und ihnen eher gerecht zu werden, denn noch heute, wie vor 100 und 150 Jahren, sind sie den meisten Menschen des Westens unverständlich und fremd.
Inhalt
Erstes Kapitel – S. 19
Nestorianische Mission. – Bedeutung eines Arztes. – Einschiffung. – Smyrna. – Konstantinopel. – Schwarzes Meer. – Trebisonde. – Tebris. – Urumiah. – Charakter der Nestorianer. – Die Mission. – Schilderung des Landes. – Unabhängige Nestorianer. – Die Kurden.
Zweites Kapitel – S. 27
Ausführbarkeit eines Besuchs bei den Nestorianern des Gebirges. – Reise nach Konstantinopel. – Sturm ihn den Gebirgen. – Reise nach Mesopotamien, Diarbakir und Mardin. – Wunderbare Lebensrettung.
Drittes Kapitel – S. 34
Abreise von Mardin. – Ebene von Mesopotamien. – Mosul. – Ruinen von Ninive. – Die Jeziden oder Teufelsanbeter.
Viertes Kapitel – S. 45
Schlachtfeld Alexanders. – Akra und seine Lage. – Empfang bei einem Kurden-Häuptling. – Reise nach Amadieh.
Fünftes Kapitel – S. 54
Ankunft in Duri. – Besuch bei dem Bischof der Nestorianer. – Aussicht von den Bergen. – Ankunft unter den unabhängigen Stämmen. – Merkwürdige Begebenheit. – Freundliche Aufnahme.
Sechstes Kapitel – S. 62
Nestorianer. – Kirchen. – Gottesdienst. – Sonntag. – Sage. – Heilige Schrift. – Fehde mit den Kurden. – Hirtenleben. – Hilfsquellen. – Sittengemälde. – Frauen.
Siebtes Kapitel – S. 73
Stege. – Schluchten. – Ärztliche Tätigkeit. – Straßen. – Ankunft bei dem Patriarchen. – Freundlicher Empfang. – Der Patriarch. – Umgang mit ihm. – Altes Schloß. – Weibliche Treue. – Kirchenregiment. – Familie des Patriarchen.
Achtes Kapitel – S. 81
Abreise. – Reise durch die Berge. – Besuch bei einem kurdischen Häuptling. – Vorgänge in dem Schloß. – Ankunft in Urumiah. – Schreiben des Patriarchen. – Rückkehr in die Gebirge. – Besuch in Djulamerk.
Neuntes Kapitel – S. 89
Gastfreundschaft des Volks. – Rückweg über Van. – Nacht in dem Tale. – Besuch in kurdischen Dörfern. – Hirtenleben. – Schulz‘s Tod. – Van. – Zusammenkunft mit dem Hakary-Häuptling. – Seine veränderten Verhältnisse. – Vorfall unter den Kurden.
Zehntes Kapitel – S. 97
Die Gefangenschaft der zehn Stämme. – Die Geschichte hat sie aus dem Auge verloren. – Sie sind noch nicht wieder gefunden. – Ihr Fortbestand höchst wahrscheinlich. – Schwierigkeiten dieses Gegenstandes. – Seine Wichtigkeit.
Elftes Kapitel – S. 100
Bei den nestorianischen Christen vorhandene Überlieferung, daß sie von Israel abstammen. – Sie seien aus Palästina gekommen. – Zeugnis der Juden und Mohammedaner zu dieser Überlieferung.
Zwölftes Kapitel – S. 107
Die Gegenden, wohin die zehn Stämme abgeführt worden waren. – Dort finden sich jetzt die nestorianischen Christen. – Nur wenige Juden sind daselbst.
Dreizehntes Kapitel – S. 111
Die zehn Stämme sind in Assyrien geblieben. – Beweise dafür. – Weissagungen der Bibel.
Vierzehntes Kapitel – S. 114
Die Sprache der Nestorianer. – Sie ist die gleiche wie die der dort lebenden Juden. – Daraus ergibt sich, daß sie aus Palästina und zwar dem Zehn-Stämme-Reich eingewandert sind.
Fünfzehntes Kapitel – S. 118
Namen, die nestorianische Christen tragen. – Beni Israel. – Nazaräer. – Syrer. – Chaldäer. – Gebrauch dieser Benennungen.
Sechzehntes Kapitel – S. 123
Befolgung des mosaischen Gesetzes. – Opfer. – Gelübde. – Erstlinge und Zehnten. – Sabbat. – Ehrfurcht vor dem Heiligtum. – Unerlaubte Speisen. – Unreinsein. – Absonderung der Frauen.
Siebzehntes Kapitel – S. 131
Gesichtszüge. – Namen. – Stämme. – Regierung. – Bluträcher. – Freistätten. – Stimmung gegen die Juden. – Verschiedene Beweise dafür, daß sie ein unvermischter Volksstamm sind.
Achtzehntes Kapitel – S. 138
Gesellschaft und häusliche Bräuche. – Begrüßung. – Gastfreundschaft. – Sorge für die Armen. – Mahlzeiten. – Anzug. – Schmuck. – Verlobung und Hochzeit. – Kinder. – Beschäftigung.
Neunzehntes Kapitel – S. 145
Die Bekehrung der zehn Stämme zum Christentum.
Zwanzigstes Kapitel – S. 148
Biblische Spuren von der Bekehrung der zehn Stämme.
Einundzwanzigstes Kapitel – S. 152
Biblische Weissagungen die zehn Stämme betreffend.
Anhang
Die Jeziden – S. 154
Die Missionen der Nestorianer – S. 159
Die Juden in Midian und Assyrien – S. 166
Nachtrag des Herausgebers – S. 170
Endnoten – S. 175
Karte – S. 187 u. 189
Erstes Kapitel
Nestorianische Mission. – Bedeutung eines Arztes. – Einschiffung. – Smyrna. – Konstantinopel. – Schwarzes Meer. – Trebisonde. – Tebris. – Urumiah. – Charakter der Nestorianer. – Die Mission. – Schilderung des Landes. – Unabhängige Nestorianer. – Die Kurden.
Die nestorianischen Christen, die in der Geschichte der Kirchen eine so bedeutende Stelle einnehmen, treten in unseren Tagen wieder aus dem Dunkel hervor, das sie während einer Reihe von Jahrhunderten umhüllt und den Augen der zivilisierten Welt entrückt hatte.
Die günstige Berichterstattung der Herren Smith und Dwight über ihren Besuch bei den Nestorianern in Persien im Frühling des Jahres 1831 veranlaßte die amerikanische Missionsgesellschaft3, von der sie ausgegangen waren, zu dem Entschluß, unter diesem denkwürdigen Zweige der urchristlichen Kirche eine Mission anzulegen. Das Feld war neu, unbekannt, schwierig, aber es eröffnete die verheißendsten Aussichten. Bei ihrem Jahresfeste, das im Oktober 1834 in Utica im Staate New York gefeiert wurde, sprach die Missionsgesellschaft aufs überzeugendste und eindringlichste das Bedürfnis nach einem geeigneten Arzt aus, der in die beginnende Arbeit dieser wichtigen Mission eintreten sollte.
Man war überzeugt, daß der Beruf des Heilkundigen leichteren Zugriff und größere Sicherheit gewähre, indem er die Reinheit unserer Absichten von vornherein beweise; auch weiß jedermann, daß, wenn wir die Leiden des Körpers heilen, wir uns dadurch den nächsten Weg zum Herzen bahnen. Überdies hat ein Arzt Zutritt an Orte, die jedem anderen verschlossen sind. Aber mehr als ein Jahr ging der Aufruf durch das ganze Land seiner Länge und Breite nach, und doch fand sich kein Arzt, der ihm Folge leisten wollte.
Nun sah ich mich veranlaßt, einen wachsenden und erfreulichen Wirkungskreis in Utica aufzugeben, und schon den folgenden Frühling war ich mit meiner Gattin auf dem Wege nach Persien. Eine angenehme Reise von 48 Tagen brachte uns nach Smyrna [Izmir, Anm. d. Hg.], wo einst eine der sieben asiatischen Gemeinden geblüht hatte. Von dort brachte uns eines der besten jener zahlreichen Dampfboote, die jetzt dem Orient eine so veränderte Gestalt geben, nach Konstantinopel, der stolzen Hauptstadt der Türkei. Damals durchzogen noch keine Dampfboote das stürmische Schwarze Meer, und in einem kleinen, in Amerika gebauten englischen Schoner, der meist als Sklavenschiff gedient hatte, wurden wir von den Winden nach dem Hafen von Trebisonde hinuntergeschaukelt.
Von der Küste des schwarzen Meeres an wurde der Reitsattel das einzige Reisemittel auf einer Strecke von 700 (englischen) Meilen über die Berge und Ebenen von Armenien bis in die sonnigen Täler Persiens. Auf den höheren Bergen fanden wir in dem Winkel eines Stalls Schutz vor Kälte und Unwetter. An den grünen Gestaden des Euphrat und am Flusse des beeisten Ararat ruhten wir unter dem Dach unseres Zeltes, während die Ballen und Kisten der Kaufmannsware von den 700 Pferden und Maultieren, die unsere Karawane bildeten, rings im Viereck aufgetürmt lagen und als provisorischer Wall gegen die räuberischen Kurden dienten, die uns umgaben. Der Pascha von Erzerum hatte der Karawane eine Bedeckung von bewaffneten Reitern mitgegeben, und die tiefe Stille der Mitternacht unterbrach der Ruf der pflichtgetreuen Schildwachen, die ihren Schlaf entbehrten, um den unsrigen zu sichern. Die fremden Sitten und Bräuche des Morgenlandes und die 1000 neuen Dinge der alten Welt vertrieben uns schnell die Zeit von 28 Tagen, die wir im langsamen Schritte einer orientalischen Karawane abmaßen.
Am 5. Oktober 1835 erreichten wir Tebris, eine der bedeutendsten Handelsstädte Persiens, und erfreuten uns des herrlichsten Empfanges durch die wenigen englischen Bewohner und unsere geachteten Arbeitsgenossen, des ehrw. Justinius Perkins und seiner Gattin, die vor uns hier eingetroffen waren. Von Seiner Exzellenz, dem Herrn Ellis, britischer Gesandter und außerordentlicher Abgeordneter beim Schah von Persien, mit dem wir bereits in Trebisonde erfreuliche Bekanntschaft gemacht hatten, wurde uns das freundlichste Anerbieten von Schutz und Hilfe zu Teil, und ich ergreife diese Gelegenheit, des gleichen freundschaftlichen und unausgesetzten Wohlwollens von Seiten seiner Nachfolger und anderer englischer Herren, mit denen wir im Morgenlande zusammentrafen, anerkennende Erwähnung zu tun.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Tebris begab ich mich nach Urumiah, um für unseren beabsichtigten Aufenthalt unter den Nestorianern dieser Provinz die einleitenden Vorkehrungen zu treffen. Mein Beruf als Arzt verschaffte mir die Gewogenheit des Gouverneurs und des Volkes im allgemeinen. Bald war für angemessene Wohnungen gesorgt, und am 20. November kam mein Arbeitsgenosse mit unseren Gattinnen nach. Wir begannen unsere Arbeit unter den ermutigendsten Aussichten, die bis auf den gegenwärtigen Augenblick in nichts getäuscht worden sind.
Kranke, Lahme und Blinde fanden sich von allen Seiten zu Dutzenden und Hunderten ein, und das Gerücht erscholl in der ganzen umliegenden Gegend. Wir wurden als allgemeine Wohltäter angesehen, und unsere Ankunft rief eine ungeteilte Freude bei allem Volk hervor. Besonders die Nestorianer hießen uns mit der größten Freundlichkeit und Zuneigung willkommen. Ihre Bischöfe und Priester nahmen Platz an unserem Tisch, knieten mit uns bei unserer Hausandacht, nahmen Belehrung mit kindlicher Empfänglichkeit an und verwandten ihren ganzen Einfluß, um uns in unserer Arbeit an ihrem Volk zu unterstützen. Sie betrachteten uns als ihre Mitgehilfen in dem notwendigen Werk der Belehrung und Belebung und sahen in uns nicht Leute, die sie herabsetzen und ihre Stelle einnehmen wollten. Wir waren gekommen, nicht um niederzureißen, sondern um aufzubauen, Erkenntnis und Frömmigkeit zu fördern, und nicht gegen ihre Sitten und Bräuche anzukämpfen.
Ihr Charakter, wie wir ihn kennenlernten, machte uns viel Hoffnung. Sie haben die größte Ehrerbietung vor der Heiligen Schrift und wünschen, sie unter dem Volke in einer jedermann verständlichen Sprache verbreitet zu sehen. Gegen andere Kirchenparteien waren sie im Urteilen schonend und billig. In ihren religiösen Bräuchen sind sie einfacher und schriftmäßiger als die römischen Katholiken und andere orientalische Kirchen. Sie verwerfen den Bilderdienst, die Ohrenbeichte, die Lehre von Fegefeuer und stehen daher in vielen Stücken mit den Protestanten auf gleichem Grund und Boden, so daß man sie, gar nicht unpassend, die asiatischen Protestanten genannt hat.
Im Ganzen und als Volk sind sie jedoch in Unwissenheit und Aberglauben eingehüllt. Niemand als die Geistlichen kann lesen und schreiben. Für die Erziehung des weiblichen Geschlechtes wird nicht das mindeste getan. Ihren zahlreichen Fast- und Festtagen legen sie größere Bedeutung bei als der Reinheit ihres Herzens und Lebens. Doch gibt es einzelne, die noch ein exemplarisches Leben zu führen scheinen und die über die Versunkenheit ihres Volkes seufzen. Wir können nicht anders, als der Hoffnung Raum geben, daß von der ersten Zeit der Kirche her der Funke lebendiger Frömmigkeit nicht bei ihnen erloschen ist und daß er bald in lichter Flamme neu aufgehen wird.
Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwunderlich, daß wir unsere Tätigkeit ohne einen Schatten von Widerstand auf seiten der Geistlichkeit und des Volkes entfalten konnten.
Zwölf bis fünfzehn Freischulen sind in den Dörfern der Ebene eröffnet, ein Seminar und eine Kostschule für Mädchen in den Missions-Wohnungen in der Stadt errichtet und beträchtliche Teile der heiligen Schrift in die Umgangssprache der Nestorianer neu übersetzt worden. Für die Predigt des Evangeliums und unsere Sonntagsschulen haben sie uns ihre Kirchen geöffnet. National-Gehilfen sollen aufgestellt und zweckmäßig eingesetzt werden. Unsere Mission hat aus Amerika Verstärkung erhalten, und eine Druckerpresse mit der nötigen Schrift ist nachgesandt worden.
Der ehrw. A.L. Holladay und Herr William R. Stocking kamen mit ihren Gattinnen den 6. Juni 1837 an; der ehrw. Willard Jones und Gattin am 7. November 1839; der ehrw. A.H. Wright, Med. Dr., am 25. Juli 1840, und Herr. Edward Breath, Buchdrucker, hat sich mit einer Presse eingeschifft, die so eingerichtet ist, daß sie von der Küste des Schwarzen Meeres bis Urumiah auf Pferden transportiert werden kann.
Die Provinz Urumiah, in der diese Missionstätigkeit entfaltet worden ist, umfaßt einen bedeutenden Teil des jetzigen Königreichs Persien. Im Westen ist sie durch eine hohe Kette Schneeberge von dem alten Assyrien oder dem eigentlichen Kurdistan getrennt, im Osten liegt vor ihr der schöne See gleichen Namens, in einer Länge von etwa 80 und einer Breite von 30 (englischen) Meilen. Das Wasser des Urumiah-Sees ist so salzig, daß keine Fische darin leben können. An seinen Ufern leben zahlreiche Wasservögel, unter denen sich die prächtigen Flamingos auszeichnen, die bisweilen das Gestade meilenlang bedecken.
Zwischen den Bergen und dem See dehnt sich eine Ebene von außerordentlicher Fruchtbarkeit aus, mit einer Fläche von ungefähr 500 Quadratmeilen, die nicht weniger als 300 größeren und kleineren Dörfern Nahrung gibt. Sie ist mit dem üppigsten Grün bedeckt, mit Fruchtfeldern, Gärten und Weinpflanzungen, und aus den benachbarten Bergen fließen ihr die klarsten Wasser in bedeutender Menge zu.
Die Landschaft ist eine der lieblichsten des Morgenlandes. Die Wirkung dieser außerordentlichen Fruchtbarkeit der Ebene wird für das Auge durch den öden Anblick der sie umgebenden Berghöhen erhöht, auf denen nicht ein einziger Baum zu sehen ist, während in der Ebene Weiden, Pappeln und Sycamoren entlang der Bäche, und streckenweise Pfirsich-, Aprikosen-, Birn-, Pflaumen-, Kirsch-, Quitten-, Apfelbäume und Weinreben einen reichen, bunten Wald bilden.
Beinahe in der Mitte der Ebene liegt die alte Stadt Urumiah mit einer Bevölkerung von etwa 20000 Seelen, meist Muslime. Sie ist von einem Wall und Graben von fast 4 Meilen im Umfang umgeben. In geringer Entfernung erhebt sich östlich der Stadt ein alter Wall zu der Höhe von 70 oder 80 Fuß. Der Sage nach stand an dieser Stelle der Tempel, in dem in alter Zeit Zoroaster sein heiliges Feuer angezündet und vor dem Himmelsheer seine Knie gebeugt hatte.
Das Klima ist im allgemeinen sehr angenehm, doch erzeugt sich aus Ursachen der Örtlichkeit ein giftiges Miasma, das Fieber und die verschiedenen Übel der Malaria nach sich zieht. Diesen Krankheiten ist der an das Klima nicht gewöhnte Fremdling am meisten ausgesetzt, und unsere Missionsfamilie hat darunter viel zu leiden gehabt. Meine teure Gattin war das erste Opfer des Klimas. Ihr sanftes und seliges Ende besiegelte die Wahrheiten, die sie während ihres kurzen, aber begebnisreichen Lebens in lebendigem Glauben gelehrt und geübt hatte. Sie ging ein zu ihrer Ruhe am 12. Januar 1839. Ihre beiden Zwillingstöchterlein ruhen an ihrer Seite auf dem Friedhof der alten nestorianischen Kirche in Urumiah.
Im Februar desselben Jahres erhielt ich von der Missionsgesellschaft den Auftrag, nach Mesopotamien vorzugehen und eine Station unter den Nestorianern zu errichten, von denen angenommen wurde, daß sie im Westen der Hauptgebirge von Kurdistan wohnen. Auf diese Weise hoffte man, sich zu dem Kern der Nestorianer einen sicheren Zutritt zu bahnen, zu den im Mittelpunkt des alten Assyriens in den unzugänglichsten Teilen der kurdischen Gebirge hausenden unabhängigen Stämmen. Ich hatte längst diese Stämme des Gebirges als das eigentliche Feld unserer künftigen Tätigkeit betrachtet. Sie bilden den Kern der nestorianischen Kirche, und es schien von größter Wichtigkeit, ihnen selbst das Licht nahezubringen, ehe sie beunruhigt würden durch die Nachricht, daß unter ihren Brüdern auf der Ebene Veränderungen vorgehen. Der Weg zu ihnen schien aber durch die wilden Kurden ringsum versperrt. Überall sind sie von denen umgeben, die auf verräterische Weise Herrn Schultz ermordeten, den einzigen Europäer, der den Versuch gewagte hatte, zu den nestorianischen Stämmen vorzudringen.